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8. Die Detective Novel of Manners

Das Problem, ob der Detektivroman zur gehobenen Literatur gezählt werden kann, wird von Pierre Boileau und Thomas Narcejac ausführlich betrachtet.[1] Sie gehen davon aus, daß Literatur sich dadurch auszeichne, daß den Charakteren ein gewisses Eigenleben zugestanden werde, und daß der Autor beim Schreiben durch keinerlei Grenzen, sei es in bezug auf die Handlung oder auf seine Schreibweise, behindert werde.

Dadurch entwickele der Roman eine eigene Dynamik. Für den Detektivroman gilt nun, daß er von einer Grundthese bestimmt wird. Der Autor eines Detektivromans will einen neuen modus operandi vorstellen, ein kompliziertes Alibi brechen oder ein bestimmtes Motiv darlegen. Diese Grundthese behindert den Autor in der freien Entfaltung seiner Kreativität. Er muß seine Charaktere und deren Dialoge, den Schauplatz der Handlung und die Zeit, in der der Roman spielt, dieser Grundvoraussetzung anpassen.

Boileau und Narcejac meinen aber, daß auch der Detektivroman die Möglichkeit besitze, sich von diesem Schema zu lösen. Wenn er sich von dem engen Muster zu trennen vermöge, seine Charaktere in den Vordergrund stelle und das Verbrechen als Schicksalsschlag behandele, der Menschen treffe, die auch sonst ihre eigenen Probleme hätten, deren Darstellung sich lohne, sei es auch dem Detektivroman möglich, Literatur zu sein. Boileau und Narcejac sprechen davon, daß es im Detektivroman zwei Ebenen gäbe: zum einen die imaginäre Realität, zum anderen die reale Imagination.[2] Der Detektivroman ließe den Leser durch die offensichtliche, kriminalistische Fiktion in eine subtil dargestellte Realität blicken.

Mit dieser These beschreiben Boileau und Narcejac genau die Absichten, die Dorothy L. Sayers mit ihren Romanen verfolgte.

Der Detektivroman hat sich seit seinen Anfängen immer wieder stark verändert. Vor allem hat er sich während der Goldenen Ära zum eigenständigen Genre gewandelt. Er hat sich in dieser Zeit zunehmend von dem realistischen Gesellschaftsroman, der novel of manners, fortbewegt. Der Gesellschaftsroman stellt Auszüge einer Gesellschaft dar, indem er soziale Gruppierungen mit deren Problemen und Krisen beschreibt. Die Detektivgeschichte am Anfang der Goldenen Ära hat keinerlei derartige Ambitionen. Sind in der Zeit davor mit Wilkie Collins[3] oder Sheridan Le Fanu[4] noch parallele Entwicklungen zu beobachten, wendet sich die Detektivliteratur der zwanziger und dreißiger Jahre von diesem Weg ab. Die Detektivromane aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen haben den Charakter von Kurzgeschichten, indem sie sich nur auf eine Problemstellung konzentrieren und auf das Denouément hinarbeiten.

Dabei bleibt die Charakterdarstellung oft außen vor. Einem Großteil der Detektivromane, die in der Goldenen Ära geschrieben wurden, ist gemeinsam, daß ihnen wirkliche Charaktere fehlen. Durch diesen Mangel schränken sie sich selbst ein und beginnen, auf ein immer gleiches Repertoire an Handlungen und Lösungen zurückzugreifen.

“Wenn die Realität im Detektivroman einzig zur Konstruktion der ‘mystery’-Pointe arrangiert wurde, so verlor am Ende sogar die Pointe selbst an Reiz, da ihr die spärlichsten Realitätspartikel nicht mehr als Widerstand und Anreiz entgegenwirkten, sondern als Teile eines rigiden Automatismus von vornherein untergeordnet waren.”[5]

Ziel mußte es also sein, der Detektivliteratur dadurch neues Leben einzuhauchen, daß man realistische Charaktere mit einem realen Umfeld so in die Geschichte einbaut, daß sie durch ihre Empfindungen und Erfahrungen zur Lösung des Kriminalfalles beitrugen.

Martin Priestman[6] sieht bereits bei Agatha Christie Ansätze, die zu einer Entwicklung des Detektivromans führen. Christie hat für viele ihrer Romane das englische Landhaus als Schauplatz gewählt. Dadurch erhielten ihre Werke das Flair einer country-house-novel. Priestman stellt in Christies Detektivromanen acht verschiedene Typen fest, die immer wieder für den Charakter des stark Verdächtigen oder des Opfers benutzt werden: den Landbesitzer, die Englische Schönheit, den “schwachen”, jungen Mann, die Sirene mit Vergangenheit, die respektable Ehefrau, den schweigsamen Kolonialisten, den Professionellen mit Familienanschluß (Anwalt, Arzt oder Geistlicher) und die weibliche Abhängige. Durch die immer wieder auftretenden Charaktere gewinnt diese Art der Detektivromane pastorale Züge.[7]

8.1  Dorothy L. Sayers’ Ambitionen

In der Reihe ihrer Lord-Peter-Wimsey-Abenteuer hat Dorothy L. Sayers dem Genre des Detektivromans ein neues Gesicht verliehen. Sie hat den Detektivroman von einer Spielerei mit der literarischen Bedeutung eines Kreuzworträtsels wieder zurück zum realen Gesellschaftsroman gebracht und dem Genre damit zu neuem Glanz verholfen.

Sayers hatte diese Ambitionen bereits, als sie mit Whose Body? ihre Karriere als Autorin von Kriminalliteratur begann. Doch, wie sie selbst eingesteht, war ihr erstes Werk eher konventionell und entsprach genau dem Klischee.

“When in a light-hearted manner I set out, fifteen years ago, to write the first ‘Lord Peter’ book, it was with the avowed intention of producing something ‘less like a conventional detective story and more like a novel’. Re-reading Whose Body? at this distance of time I observe, with regret, that it is conventional to the last degree, and no more like a novel than I to Hercules.”[8]

Sayers’ erklärtes Ziel war es, den Detektivroman auf das Niveau von Wilkie Collins und Sheridan Le Fanu zurückzuführen. Diese beiden zeichnen sich in ihren Werken nicht nur als Meister der Spannung, sondern auch durch hervorragende Milieubeschreibungen aus. Dorothy L. Sayers versuchte, ihre Lord-Peter-Wimsey-Romane diesem Vorbild anzupassen.  Paul G. Buchloh und Jens P. Becker stellen in Sayers’ Romanen eine Rückbesinnung auf alte Traditionen fest.

“Das Schwergewicht dieser Romane liegt auf der psychologisch feinfühligen Charakterzeichnung der Hauptgestalten, (…) auf der Liebesgeschichte in der Nebenhandlung und auf der Betonung des Humors. Verbrechen und Detektion treten zurück. Diese Entwicklung bedeutet sowohl eine Umkehr zum viktorianischen Gesellschaftsroman wie eine Rückwendung auf den romanzenhaften amerikanischen Detektivroman zwischen 1875 und 1914.”[9]

Dorothy L. Sayers’ Hang zum Gesellschaftsroman war zuerst in der liebevollen Beschreibung der in Nebenrollen agierenden kleineren Charaktere zu erkennen. Figuren wie der Architekt Thipps, der Angst hat einzugestehen, daß er in einem Nachtclub war, aber soviel Courage besitzt, einen Freund zu decken; die Künstlerkolonie in Five Red-Herrings;[10] der Pastor in The Nine Tailors;[11] der bekehrte Safeknacker, der jetzt Laienprediger ist, in Strong Poison; oder die Künstler im gleichen Buch – sie alle sind mit einer Detailfreudigkeit beschrieben, die es dem Leser ermöglicht, Einblicke in die Gesellschaft des Großbrittaniens der zwanziger und dreißiger Jahre zu nehmen.

So schreibt Carolyn G. Hart über die Nebencharaktere in Gaudy Night:

“But it isn´t only in the relations between Harriet and Lord Peter that this is the norm. All of the conversations among this novel´s participants intrigue, elucidate and mystify, entertain and rebuke, inform and obscure. These conversations give the readers a detailed, realistic, enormously fascinating portrayal of a particular kind of people at a particular moment in history. Sayers insisted that the novel of manners could be wedded to the mystery novel, and Gaudy Night proves her thesis.”[12]

Der Detektivroman als realistischer Gesellschaftsroman beschreibt Menschen in problematischen Situationen, Menschen mit Gewissenskonflikten. Erreicht wird die Beschreibung der Gesellschaft durch das Eintreten von Chaos in Form eines Verbrechens in eine bestehende, funktionierende Gruppe wie das Shrewsbury College.[13] Der Detektiv hat die Funktion, die Ausgangsposition wiederherzustellen.

Bei Sayers haben die Protagonisten nicht nur die Aufgabe, ein Verbrechen mittels ihrer deduktiven Fähigkeiten aufzuklären. Sie müssen auch ihre Persönlichkeit einbringen, um eine übergeordnete Problematik zu verdeutlichen. Harriet Vanes und Lord Peter Wimseys gemeinsame Vorgeschichte spiegelt sich im Plot des Romans wider. Harriets emotionale Unentschlossenheit und Peters gradueller Abbau einer Barriere, die ihn vor Eingriffe in seine Privatsphäre schützen sollte, bestimmen in weiten Teilen die Entwicklung in Gaudy Night. Harriet ist in der Einschätzung des Falles durch ihre Gefühle eingeschränkt.

Peter wird bereits in Whose Body? von Charles Parker auf die gesellschaftliche Bedeutung seines Hobbys hingewiesen. Schulz-Buschhaus sieht darin die Demonstration der Relevanz des Detektivromans.

“Der Detektiv, bislang für den Kriminalroman vorwiegend ein ‘sportsman’, wird als ‘responsible person’ zum Bewußtsein seiner sozialen Verantwortlichkeit ermahnt, was bedeutet, daß auch der Detektivroman insgesamt auf die soziale Problematik seines Gegenstandes hingewiesen wird, welche er bislang im wahrsten Sinne des Wortes überspielt hatte.”[14]

Harriet Vanes soziale Aufgabe ist es zu zeigen, wie sich eine emanzipierte Frau verhalten kann. Sayers verleiht durch sie ihrer Einstellung zum Feminismus, zu den Werten von Arbeit, Wahrheit und Integrität Ausdruck.

Harriet Vane befindet sich in Strong Poison in einer ganz außergewöhnlichen sozialen Lage. Sie ist Autorin von Detektivromanen, was an sich schon außerhalb der Norm ist. Sie lebt unverheiratet mit einem Mann und verstößt diesen, als er ihr einen Heiratsantrag macht. Sie wird des Mordes angeklagt und freigesprochen. Selbst heute hätte Harriet unter übler Nachrede zu leiden. Sie aber wird vom Sohn eines Dukes geliebt – dessen Heiratsantrag sie ebenfalls ablehnt. Das erfordert ein großes Maß an Charakterstärke und Integrität.[15]

Harriet Vane ist im Umgang mit ihren Mitmenschen einfühlsam, versucht, deren Probleme zu verstehen. Ihre eigenen Probleme, deren Auslöser die unglückliche Beziehung mit Philip Boyes war, manifestieren sich in einem Gefühl der Schuldhaftigkeit. Sie glaubt, daß sie Wimsey ihr Leben schuldet. Diese schon beinahe als Zwangsvorstellung zu beschreibende Idee kommt von dem Wunsch nach unbedingter Selbständigkeit. Nachdem ihre Eltern verstorben waren, mußte Harriet für sich selbst sorgen. Sie hat sich eine Unabhängigkeit geschaffen, auf die sie außerordentlich stolz ist. Wimsey könnte ihr, zumindest in ihrer Vorstellung, diese Unabhängigkeit nehmen. Nur durch einen langwierigen Prozeß, bei dem sie sich den Wert ihrer Person durch den Wert ihrer Arbeit bewußt macht, schafft sie es, ihr Selbstwertgefühl wiederzufinden.

Was für das Ziel des einzelnen Detektivromans gilt, nämlich die Wieder­her­stellung der Ordnung in die ein Mord Chaos brachte, wird für Harriet durch die Serie von Romanen erreicht. Die Krise, die der Mord in Strong Poison ausgelöst hatte, wird erst durch die Wiederherstellung von Harriets seelischem Aus­gangs­zu­stand in Gaudy Night vollständig gelöst.

Wimsey hatte bereits im Krieg psychischen Schaden genommen. Verstärkt wurde sein Problem durch die unglückliche Beziehung, die ihn das Hobby der Krimina­listik ergreifen ließ.[16] Sayers läßt den Leser in Gaudy Night erfahren, daß seine Art, den adligen Dummkopf zu spielen, eine Form der Barriere ist, ein Schutzwall, um keine neuen Angriffe auf seine Gefühlswelt zuzulassen. Nur Harriet gegenüber kann er sich öffnen. Auch für Peter, der bereits in Strong Poison um Harriets Hand anhält, ist die Entwicklung ihrer Beziehung notwendig. Noch in Gaudy Night, während der gemeinsamen Bootsfahrt, wehrt er Harriets Eindringen in seine Privatsphäre ab. Erst in Busman´s Honeymoon kann er sämtliche Schilde fallen und sich von ihr trösten lassen.

Dorothy L. Sayers versucht in Gaudy Night, im Gerüst des Detektivromans soziale Themen zu installieren. Sie untersucht neben der Frage nach dem Täter das Motiv für die Verhaltensweise ihrer verschiedenen Charaktere und fragt, welcher soziale Druck diese Individuen beeinflußt.[17]

8.3  Ein geglückter Versuch?

Viele Kritiker halten Dorothy L. Sayers’ Versuch, den Detektivroman zurück auf das Niveau des realistischen Gesellschaftsromans zu bringen, für mißglückt. Immer wieder wird kritisiert, daß Wimsey als Liebhaber lächerlich wirkt, daß die Verknüpfung von Liebesaffäre, sozialen Themen und Detektivgeschichte konstruiert wirkt und daß Sayers sich zu einer snobistischen Literatin entwickelt habe.

W.H. Auden zeigt sich in “The Guilty Vicarage” als Anhänger der klassischen Detektivgeschichte.[18] Seine dogmatischen Forderungen nach einer rigiden Struktur lassen wenig Zweifel an seiner Einstellung aufkommen. Für Auden muß eine gute Detektivgeschichte strengen Anforderungen entsprechen, die wenig Chancen lassen, das Genre zu gleichberechtigter Literatur werden zu lassen. Er fordert nicht Realitätstreue, sondern nach einem bestimmten Muster erzeugte Spannung.

Im krassen Gegensatz dazu steht Raymond Chandler, der in “The Simple Art of Murder” Realität um jeden Preis fordert und die Unwahrscheinlichkeiten in den Romanen seiner Kollegen anprangert.[19] Beiden gemeinsam ist jedoch die Abneigung gegen Sayers’ Romane. Auden hält Wimsey für einen “priggish superman”,[20] der nur Detektiv ist, weil es einer seiner Launen entspricht. Chandler geht Sayers’ Realitätsempfinden nicht weit genug. Er bewundert Sayers’ Darstellung von Randpersonen, beklagt aber, daß sie es nicht geschafft habe, ihre Protagonisten vom Marionettendasein zu befreien.

“If it started out to be about real people (and she could write about them – her minor characters show that), they must very soon do unreal things in order to form the artificial pattern required by the plot. When they did unreal things, they ceased to be real themselves. They became puppets and cardboard lovers and papier mâché villains and detectives of exquisite and impossible gentility. The only kind of writer who could be happy with these properties was the one who did not know what reality was.”[21]

Ulrich Suerbaum betrachtet Gaudy Night als Oxford-Roman, was er offensichtlich auch ist. Auch er fragt sich, ob Sayers mit diesem Roman den Ansprüchen, die an Literatur gestellt werden, Genüge getan habe. Er stellt fest, daß die augenfälligste Abweichung Gaudy Nights zur Norm der Detektivgeschichten in seinem Umfang liege. Mit fast 500 Seiten übersteigt Gaudy Night das Standardvolumen der Detektivgeschichten und gehört auch zu den umfangreichsten Werken Dorothy L. Sayers’. Doch Quantität allein kann natürlich kein Kriterium für hohe Literatur sein. So stellt Suerbaum auch fest, daß in Gaudy Night neben dem Handlungsgerüst, das er im wesentlichen dem der Detektivgeschichte für entsprechend hält, auch andere Standardelemente der Detektivgeschichte zu finden sind:

“ein Figurenensemble, das aus Detektiven und Verdächtigen besteht, Fragen, die am Ende von Sequenzen beantwortet werden, Ermittlungen auf materieller und psychologischer Ebene, alternative Erklärungskontexte zum Verstecken von Spuren, Zwischenbilanzen, große Lösungsszene – und so weiter.”[22]

Suerbaum bemerkt auch die Themen, die vom normalen Gerüst der Detektivgeschichte abweichen, wie das Leben in Oxford, die Universität als geistiges Refugium, die Wissenschaft als Ideal menschlicher Existenz. Jedoch kann er nicht feststellen, daß diese Themen in einer eigenen Struktur Bestand hätten. Suerbaum bemängelt das Fehlen von unabhängigen Handlungen sowie personaler Träger der Themen, die diese Themen zu Romanbestandteilen machen. Die Themen werden seiner Meinung nach nur “irgendwo als Dialog oder Reflexion untergebracht”.[23]Miss de Vine, Miss Hillyard, Catherine Bendick sowie natürlich auch Wimsey und Harriet sind allerdings meines Erachtens deutlich die Träger des Themas “intellektuelle Integrität” in seinen unterschiedlichen Interpretationsvarianten. Sayers beschreibt das Verhältnis dieser Person zu dem Thema sehr intensiv. Sie gibt jeder von ihnen eine unterschiedliche Auffassung vom Wert ihrer Arbeit und stellt sie einander gegenüber.

Da diese Themen in Gaudy Night nur durch das Gerüst der Detektivgeschichte gestützt werden, gesteht Suerbaum dem Roman “zwar eine Öffnung mit dem Ziel der Aufnahme neuer Aussageelemente” zu, hält ihn jedoch noch nicht für den Übergang in den Gesellschaftsroman.[24] Allerdings gibt er zu, daß Gaudy Night über das Niveau des Rätselspiels hinausgeht. Er sagt, daß das Gerüst des Detektivromans durchaus in der Lage sei, auch andere Themen neben dem eigentlichen Rätsel zu tragen, hält aber Dorothy L. Sayers’ Lösung für mißlungen.

Auch John G. Cawelti erkennt Sayers’ Anstrengungen, dem Gerüst des Detektivromans neue Möglichkeiten abzugewinnen. Er vergleicht die Romane Sayers’ mit denen Agatha Christies und stellt fest, daß die Stärke Christies in der Darstellung von mysteriösen Rätseln liege und die Qualität Sayers’ bei der Verbindung des Rahmens des Detektivromans mit religiösen Themen und der Beschreibung von sozialen Schauplätzen.[25]

Howard Haycraft sieht Dorothy L. Sayers als Pionierin. Er beschreibt sie als gebildete Autorin mit der Ambition, der Detektivliteratur neue Möglichkeiten zu öffnen. Er hält sie für eine Schriftstellerin, die experimentierfreudig ist und neue Formen anstrebt. Ihren Versuch allerdings hält auch er für wenig geglückt. Das führt er darauf zurück, daß Sayers zu den ersten gehört habe, die Anstrengungen in diese Richtung unternommen haben.[26]

Julian Symons fragt sich, ob denn ein Roman wie Gaudy Night oder Busman´s Honeymoon überhaupt noch als Detektivroman bezeichnet werden kann. Über Sayers’ letzte Detektivromane sagt er:

“Her infatuation with Lord Peter, and her attempt to turn the detective story into a ‘novel of manners’ ended in a weakening of the detective element almost to the point where it ceased to exist.”[27]

Dorothy L. Sayers hat, wie ich meine, mit ihren Lord-Peter-Wimsey-Romanen der Detektivliteratur eine Menge neuer Impulse gegeben. Angefangen hat sie mit einem supermannähnlichen Detektiv, den sie, durch seine Beziehung zu Harriet Vane, mit so vielen Schwächen, Eigenarten und auch bewundernswerten Eigenschaften versehen hat, daß sich aus ihm über eine Anzahl von Jahren und Romanen eine menschliche Figur entwickeln konnte. In ihren Romanen beschreibt sie nicht nur Mordfälle, sondern, zum Beispiel in The Nine Tailors und Gaudy Night durchaus erfolgreich, auch soziale Gruppen und deren oft problematisches Zusammenleben.

Auch Kathleen Gregory Klein schätzt Sayers’ Arbeiten kritisch ein, beurteilt Sayers’ Gesamtwerk aber so:

“However when the whole series, novels and short stories, is considered Sayers´ accomplishment can clearly be seen. She has created a detective whose competence matches any of his rivals´. His cases are intricate and clever, his methods are imaginative and perceptive, his solutions are inevitable and accurate. In addition, he is more than his fellow sleuths; he develops beyond their two-dimensional, puzzle solving characteristics to be also a complex, responsible and compassionate man. He is not so much a character but a person.”[28]

So sehr sich die kritischen Stimmen auch unterscheiden, eines läßt sich feststellen: Mit der verantwortungsvollen Veränderung ihres Helden hat Sayers eine Bewegung in Gang gesetzt, die eine Evolution des Detektivromans zur Folge hatte.

7. Die Charaktere am Ende ihrer Entwicklung

9. Schlußbetrachtung: Neue Möglichkeiten für den Detektivroman


[1]       Pierre Boileau & Thomas Narcejac: Le Roman Policier, in einer Übersetzung von Wolfgang Promies: Der Detektivroman, S. 179-188, Berlin: Luchterhand 1967

[2]       Boileau-Narcejac, S. 188

[3]       Wilkie Collins (1824-1889), Freund von Charles Dickens, unter anderem: The Woman in White (1860) und The Moonstone (1868) (Quelle: The Cambridge Guide to Literature; S. 206; Herausgeber : Ian Ousby, London: Guild Publishing, Wiederauflage 1989). Sayers hat jahrelang an einem Werk über Collins gearbeitet, das aber nie veröffentlicht wurde. (Quelle: Brabazon, S. 139)

[4]       Joseph Sheridan Le Fanu, (1814-1873), unter anderem: Uncle Silas (1864), In a Glass Darkly (1872) (Quelle: The Cambridge Guide to Literature, S. 567). In Gaudy Night läßt Sayers Harriet Vane Forschungen über Le Fanu anstellen (Gaudy Night, S.122).

[5]       Schulz-Buschhaus, S. 106

[6]       Vgl. Martin Priestman: Detective Fiction and Literature, The Figure on the Carpet, London: Macmillan 1990

[7]       Ibid, S. 154

[8]       Gaudy Night (Essay), S. 208

[9]       Paul. G. Buchloh, Jens P. Becker: Der Detektivroman, S. 73f., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978

[10]      Dorothy L. Sayers: Five Red-Herrings, Erstveröffentlichung: London: Gollancz, 1931

[11]      Dorothy L. Sayers, The Nine Tailors, Erstveröffentlichung: London: Gollancz, 1934

[12]      Hart, S. 46

[13]      Vgl. Gerd Egloff: Detektivroman und englisches Bürgertum, Konstruktionsschema und Gesellschaftsbild bei Agatha Christie,  S.65, Düsseldorf: Bertelsmann 1974

[14]      Schulz-Buschhaus, S. 113

[15]      Vgl. Mann, S. 113

[16]      Vgl. die Biographie des Lord Peter Wimsey von seinem fiktiven Onkel Paul Austin Delagardie

[17]      Vgl. Gaillard, S. 72

[18]      W.H. Auden:“The Guilty Vicarage” in: The Dyer´s Hand, S. 147-158,

         London: Faber and Faber 1963

[19]      Raymond Chandler: “The Simple Art of Murder”, in: The Art of Mystery Fiction,

         S. 222-236 Herausgeber: Howard Haycraft, New York: Simon and Schuster, 1946

[20]      Auden, S. 154

[21]      Chandler, S. 232

[22]      Suerbaum. S. 120

[23]      Ibid, S.121

[24]      Ibid

[25]      Vgl. John G. Cawelti: Adventure, Mystery and Romance, S.111-125, Chicago: University of Chicago Press, 1976

[26]      Vgl. Howard Haycraft: Murder for Pleasure, The Life and Times of the Detective Fiction, S. 137 New York: Biblo and Tannen, 1968

[27]      Julian Symons: The Detective Story in Britain, S.28, London: Longmans, 1962

[28]      Klein, S. 27 f.