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4. Die Rolle der Frau bei Dorothy L. Sayers

In der Goldenen Ära waren Autorinnen wie Agatha Christie und Dorothy L. Sayers dominierend für das Bild des Detektivromans. Trotzdem sind die meisten Detektive männlich. Das hat wahrscheinlich darin seine Ursache, daß die wichtigsten Eigenschaften des Detektivs, nämlich rationales Denken und physische Stärke, stereotypisch Männern zugeschrieben werden. Dem Detektivroman kommt dadurch ein eher konservatives Image zu. Heta Pyrhönen schreibt, daß, auch wenn Frauen als Detektive auftreten, sie immer noch an alte Rollenvorstellungen gebunden seien. Von ihnen werde verlangt, daß sie entweder als Frau oder als Detektiv scheitern.[1] Auch bei der unbestreitbar konservativen Dorothy L. Sayers ist der Detektiv männlich, und wenn Harriet als Detektivin agiert, ist sie nicht erfolgreich. Trotzdem hatte Sayers Vorstellungen über die Gleichberechtigung der Frau. Sie selbst beanspruchte für sich das Recht, nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben und nicht die Erwartungen der Gesellschaft erfüllen zu müssen. Wenn sie Hosen tragen wollte, tat sie das, wenn sie ihrer Leidenschaft für das Motorradfahren nachkommen wollte, tat sie das. Aber sie tat es nicht, weil Männer das tun und Frauen das gleiche Recht dazu haben müssen, sondern weil es ihr so gefiel – oder praktisch war.[2]

Wenn in den Lord-Peter-Wimsey-Romanen Frauen beschrieben werden, handelt es sich um Frauen des Großbritanniens zwischen den Weltkriegen.

Die Rolle der Frau hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg erheblich verändert. Die Frauen waren während des Weltkrieges in den industriellen Produktionsprozeß miteinbezogen worden. Das alte Rollenbild, das sich ohnehin durch die industrielle Revolution schon seit langem in der Auflösung befand, gehörte, wie auch in anderen Teilen Europas, der Vergangenheit an. Doch mit der Heimkehr der Männer nach dem Krieg wurden die meisten der Frauen wieder entlassen, was zu einem veränderten Selbstverständnis der Frauen führen mußte. Sie hatten gezeigt, daß sie die Arbeit der Männer ebenso gut verrichten konnten wie diese, und hatten auch Spaß an der neuen Verantwortung gefunden. Diese Verantwortung sollte ihnen nun wieder genommen werden.

4.1  Die Frauen in Sayers’ Romanen

In Sayers’ Romanen finden wir viele Frauen, die allein für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Sie gehen den verschiedensten Berufen nach. Sie arbeiten als Krankenschwestern, Professorinnen, in Werbeagenturen, als Sekretärinnen, als Haushaltshilfen, Kriminalautorinnen. Viele von ihnen sind unverheiratet, denn der Krieg hatte vielen Männern das Leben gekostet. Dadurch stellten die Frauen die Mehrheit der Bevölkerung dar. Man sprach von “surplus woman”.[3] Diese stellten jedoch keinesfalls eine homogene Gruppe dar.

So sind auch die Frauen in Dorothy L. Sayers’ Romanen unterschiedlichster Natur. Wir finden einfache Frauen mit geringer Bildung; Frauen des Mittelstandes, die versuchen, sich zu emanzipieren; Frauen, die allein leben, einen Ehemann suchen und andere, die auch ohne Mann sehr gut zurecht kommen. Sayers beschreibt Frauen der Oberschicht, die Standesdünkel haben, wie zum Beispiel Wimseys Schwägerin, und solche, wie seine Schwester, die sich über derartige Vorurteile hinwegsetzen.

Und es gibt die Gruppe der intellektuellen Frauen, zu der auch Harriet Vane gehört. Es war zwar schon längere Zeit üblich, daß Frauen an den Universitäten Großbritanniens studieren konnten,[4] aber daß sie auch einen Abschluß bekamen, war eine neue Errungenschaft. Selbst Dorothy L. Sayers war eine der ersten Frauen, die ihren Master of Arts (offizielle Anrede: Magistra) machen konnten.[5] Die Frauen in Oxford hatten, wie wir in Gaudy Night erfahren, keinen leichten Stand. Sie mußten sich gegenüber den männlichen Dons vorsichtig verhalten, standen permanent in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Für die Presse waren die von Frauen für Frauen geleiteten Colleges eine Quelle möglicher Skandale.[6] In Gaudy Night beschreibt Sayers die Menschen und das Zusammenleben an einem dieser Colleges.

In Strong Poison lernen wir unter anderem einen gesellschaftlichen Kreis kennen, in dem die moderne, gebildete Frau zwischen den Kriegen verkehrte. Es handelt sich um die links-intellektuellen Künstlerkreise, die Frauen wie Marjorie Phelps, wie Harriet Vane, und auch Wimseys Schwester, Lady Mary, besuchten. In Strong Poison stattet Lord Peter Wimsey gemeinsam mit Marjorie Phelps dieser Gruppe einen Besuch ab, um Informationen über Harriets ermordeten ehemaligen Lebensgefährten zu sammeln. Er trifft auf Exilrussen, Künstler und Feministinnen. Marjorie Phelps, die ihre wichtigste Rolle in The Unpleasantness at the Bellona Club[7] spielt, steht exemplarisch für die Künstlerinnen im London der zwanziger Jahre.

Lady Mary, die sich, obwohl Aristokratin, eine Weile in kommunistischen Kreisen aufgehalten hat, gehört zu den neben Harriet Vane und Miss Climpson am ausführlichsten dargestellten, weiblichen Charakteren bei Sayers. Am meisten erfahren wir über sie in Clouds of Witness.[8] Sayers erzeugt das Bild einer vermögenden Frau mit sozialem Engagement, die aber recht orientierungslos ist. Sie sucht nach einer Berufung, glaubt diese in ihrem politisch engagierten Geliebten George Goyles gefunden zu haben, wird aber von ihm enttäuscht. Die Mitglieder der kommunistischen Kreise, in denen sich beide bewegen, setzen sich aus Menschen der gehobenen Mittelschicht und der Oberschicht zusammen. Sayers gibt der kommunistischen Bewegung Großbritanniens dadurch den Anschein einer Modebewegung, die bei den verwöhnten Kindern reicher Eltern populär ist.

Nachdem Lady Mary Lord Peters Freund Charles Parker kennenlernt, entwickelt sich zwischen den beiden eine Beziehung, die durch Peters freundschaftliche Vermittlung in einer zufriedenen Ehegemeinschaft endet.[9] Lady Mary wird zu einem häuslichen Typen und beschäftigt sich mit der Einrichtung von Häusern.

4.1.1    Die alte Jungfer

Eine große Rolle kommt in Sayers’ Romanen den spinsters zu. Hier gibt es zwei unterschiedliche Gruppen: zum einem die Frauen, die resigniert haben und die ihnen von der patriarchalischen Gesellschaft zugewiesene Rolle akzeptiert haben; und zum anderen, die Frauen, die mit dieser Rolle nicht einverstanden sind. Die Damen der ersteren Gruppe finden wir in den boarding-houses, in den Küstenorten, wo sie keiner Verpflichtung nachgehen und sich gegenseitig den neuesten Klatsch erzählen. Die andere Gruppe rekrutiert sich aus Frauen, die der ihnen zugewiesenen Rolle überdrüssig geworden sind und die einen befriedigenderen Weg beschreiten wollen. Dorothy L. Sayers hat Lord Peter Wimsey in dieser Bevölkerungsschicht ein Potential erkennen lassen, das er sich zu seinen Zwecken nutzbar macht. Er unterhält ein Schreibbüro mit Miss Katherine Climpson an der Spitze, in dem ausschließlich alleinstehende Frauen beschäftigt sind. Dieses Schreibbüro entlarvt Betrüger und Wucherer und arbeitet ab und an direkt für Wimsey. In Unnatural Death äußert sich Lord Peter gegenüber Charles Parker über seine Cattery, wie er seine weiblichen Detektive scherzhaft nennt.

“‘Miss Climpson’, said Lord Peter, ‘is a manifestation of the wasteful way in which this country is run. Look at electricity. Look at water-power. Look at the tides. Look at the sun. Millions of power units being given off into space every minute. Thousands of old maids, simply bursting with useful energy, forced by our stupid social system into hydros and hotels and communities and hostels and posts as companions, where their magnificent gossip-powers and units of inquisitiveness are allowed to dissipate themselves or even become harmful to the community, while rate-payers´ money is spent on getting work for which these women are providentally fitted, ineffeciently carried out by ill-equipped police-men like you.’”[10]

Miss Climpson ist eine dieser Frauen, die eine Beschäftigung haben, die ihrer Veranlagung entspricht.

Mit dem Thema der spinster greift Dorothy L. Sayers ein typisches Problem der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen auf. So schreibt Catherine Kenney:

“The spinster-sleuth is a striking example of detective fiction´s tendency to reflect the particulars of its time, in this case, the changing status of women and their quest for fulfilling work. Specifically, the type suggests a way of women who had become ‘superfluous’ or redundant – to use the more contemporary but equally cruel adjective – since the mid-nineteenth century, the time of the detective story´s birth. Until the last century, the term ‘spinster’ was blandly descriptive, with none of the pejorative connotations it carries today. Presumably, it took on negative connotations when the number of unmarried women became, in Nina Auerbach´s words ‘a social headache almost as great as that of the ubiquitous “deserving poor”’. Sayers´ novels show that she was not only keenly aware of this social headache, which had been intensified by the Great War, but was also ready to suggest some anodynes for the condition.” [11]

Da es sich bei Sayers’ Romanen nicht um in erster Linie gesellschaftskritische Bücher handelt, kann man nicht erwarten, daß sie eine wirkliche Lösung des Problems liefert. Was sie jedoch tut, ist, ein Problem aufzuzeigen und in der Handlung ihrer Romane zu verarbeiten. Beachtenswert ist die Darstellung der Miss Climpson. Sie ist eine Frau, die rational ist, eine Arbeit verrichtet, die ihr Spaß macht und die den ihr gestellten Aufgaben mit Professionalität und Einfallsreichtum nachkommt. Sayers vermeidet es, ihr Attribute wie weibliche Intuition oder ähnliche Klischees mitzugeben. Im Gegenteil: Katherine Climpson manipuliert in Strong Poison eine Seance, um eine Geschlechtsgenossin auszuhorchen. [12]

Catherine Kenney sagt über Miss Climpson:

“She is (…) a fine flower of the Victorian era, displaying some of its more attractive values, including duty, propriety, and enterprise. In the broadest cultural terms, Miss Climpson represents those generations of women who ‘went before’ Harriet´s time, preparing the way for later women to have fuller lives.”[13]

Miss Climpson ist eine der Randfiguren, in denen sich Dorothy L. Sayers’ Freude zum Detail und ihr Spaß an der Beschreibung der kleinen Nebencharaktere zeigen, die den frühen Lord-Peter-Wimsey-Romanen zu Realitätsnähe verhelfen. John Brabazon schreibt über die Rolle der Miss Climpson:

“As one might suppose, it is through the eyes of a woman that Dorothy begins to show us a world of every-day human beings. Miss Climpson, to whom we are introduced in Unnatural Death, belongs to that group who were all too familiar to Dorothy Sayers – indeed to Europe in general in the years after the First World War – the army of ageing spinsters. For Dorothy, brought up among spinster aunts and barely escaping spinsterhood herself, Miss Climpson was someone she fully understood and sympathized with. Wimsey was fabricated for a purpose – Miss Climpson came from the heart.”[14]

So sind es eigentlich die Frauen, denen Harriet Vane ihr Leben verdankt:[15] Miss Climpson, die das Motiv aufdeckt, und Joan Murchinson, die den schriftlichen Beweis für das Motiv sichert und dabei einen Gefängnisaufenthalt riskiert.

4.1.2    Die intellektuelle Frau

Besonders intensiv wird die Rolle der Frau in Gaudy Night untersucht, dem Roman, der heute als erster feministischer Detektivroman betrachtet wird.[16]

Sayers beschäftigt sich hier mit Akademikerinnen. Wie schon bei Miss Climpson macht sich Dorothy L. Sayers bestehende Vorurteile zunutze, um den Leser in eine bestimmte Gedankenbahn zu lenken. Von einem Charakter mit dem formalen Erscheinungsbild der typischen alten Jungfer, wie es auch Miss Climpson zuteil wird, erwartet der Leser eher Leicht- und Geistergläubigkeit, Schwatzhaftigkeit, Intoleranz gegenüber der Jugend. Was ihm jedoch geboten wird, ist eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und mit einer gehörigen Portion gesunden Menschenverstandes ausgestattet ist.

“Miss Climpson had seen many strange things in sixty-odd years of boarding-house life, and was as free from repressions and complexes as any human being could very well be… .”[17]

Ähnlich manipuliert Sayers den Leser in bezug auf die Dons in Gaudy Night. In der klosterähnlichen Gesellschaft der weiblichen Dons und Studenten am Shrewsbury College treibt ein Poltergeist sein Unwesen, der mit anonymen Briefen, Wandschmierereien und Vandalismus die Gemeinschaft in Schrecken versetzt. Als Motiv für die Taten des offensichtlich weiblichen Täters deutet Sayers immer wieder eine unterdrückte Sexualität bzw. eine unterdrückte Weiblichkeit an.[18] So schreibt Bruce Merry:

“The hoary old clichés about repressed spinsters are raised just often enough to lead the reader to believe that they might account for vandalism, arson and obscene inscriptions around a female-only institution.”[19]

Personifiziert wird dies durch die den Männern nicht sehr freundlich gesonnene Miss Hillyard, der Geschichtsprofessorin des Shrewsbury College. Sie glaubt nicht, daß Männer Frauen wegen ihres Intellekts schätzen könnten, sondern glaubt, daß Männer der Gesellschaft ihre Ansichten aufzwängen und daß sie jeglicher, aber besonders weiblicher Kritik unzugänglich wären.[20]

Aber nicht nur diese Einstellung charakterisiert Miss Hillyard. Sie verachtet auch verheiratete Frauen oder Frauen mit Kindern, die ihre Familien an Wichtigkeit der Arbeit voranstellen. Immer wieder kritisiert sie Mrs. Goodwin, die Sekretärin der Dekanin, weil sie wegen ihrer Kinder die Pflichten gegenüber dem College vernachlässigen würde. Miss Hillyard ist der Meinung, daß, wenn man seiner Arbeit nicht nachkommen kann, man diese aufgeben müsse, um anderen keinen Schaden zuzufügen.[21] Zunächst scheint es so, als ob Sayers sexuelle Frustration als Motiv verwenden wolle. Tatsächlich steht hinter den Verbrechen aber nicht die unterdrückte Weiblichkeit, sondern die hier bereits implizit angedeutete Einstellung zur Arbeit.

4.2  Dorothy L. Sayers und Feminismus

Feminismus spielt für Sayers eine eher untergeordnete Rolle. Sie begrüßt, daß Frauen endlich dieselben Bildungsmöglichkeiten haben wie Männer, verurteilt aber die Art des Feminismus, der fordere, daß Frauen sich wie Männer benehmen, nur aus dem Grund, weil Männer sich so benehmen. Sie möchte, daß Frauen sich so verhalten können, wie es ihrer Individualität entspricht. Frauen sollen nicht studieren, weil Männer studieren, sondern weil sie den Drang nach Wissen haben.

Deshalb sind die weiblichen Sympathieträger in ihren Romanen Frauen, die ihre Unabhängigkeit schätzen und ihre Rolle in der Gesellschaft nach bestem Wissen und Gewissen ausfüllen. So kommt es gar nicht darauf an, um welche Rolle es sich dabei handelt. Nur müssen sich die Frauen diese selbst gewählt haben. Für Sayers hat der Feminismus die Aufgabe, der einzelnen Frau als Individuum die gleiche Chance zu sichern wie jedem anderen Menschen. Das heißt, daß eine Bevorzugung nur unabhängig vom jeweiligen Geschlecht, ausschließlich aufgrund der Ausbildung, Erfahrung oder körperlichen Befähigung stattfinden darf. Die Qualifikation der individuellen Person ist entscheidend.

So schreibt Sayers in ihrem Essay “Are Women Human?”:

“‘What,’ men have asked distractedly from the beginning of time, ’what on earth do women want?’ I do not know that women, as women, want anything in particular, but as human beings they want, my good men, exactly what you want yourselves: interesting occupation, reasonable freedom for their pleasures, and a sufficient emotional outlet. What form the occupation, the pleasure and the the emotion may take, depends entirely on the individual.”[22]

4.2.1    Harriet Vane, Lord Peter Wimsey und die Emanzipation

Auch für Harriet Vane stellt sich in ihrer persönlichen Entwicklung die Frage, inwiefern sie der Rolle als Frau, die ihr von der Gesellschaft auferlegt worden ist, oder ihren eigenen Interessen, ihrer Karriere entsprechen soll. Sayers stellt fest:

“Now, it is frequently asserted that, with women, the job does not come first. What (people cry) are women doing with this liberty of theirs? What woman really prefers a job to a home and family? Very few, I admit. It is unfortunate that they should so often have to make the choice. A man does not, as a rule, have to choose. He gets both. In fact, if he wants a family, he usually has to take the job as well, if he can get it.”[23]

Harriet Vane glaubt, daß für sie der für Männer selbstverständliche Automatismus nicht besteht. Sie muß sich entscheiden, ob sie den Job oder den Mann nimmt, Intellekt oder Emotion.

Dorothy L. Sayers beschäftigt sich bereits in ihren ersten Romanen mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Zum Schwerpunktthema wird Emanzipation aber erst durch das Auftreten von Harriet Vane. Catherine Kenney schreibt zu diesem Thema:

“One of the more interesting questions implied in her early novels, namely, whether a woman can lay claim to a fully human life that includes work as well as love, pleasure as well as duty without being considered a freak, a monster, or a rebel, is finally answered in the Harriet Vane books. In fact, these four novels focus upon one woman´s struggle to integrate the essential human experiences of love, work, and play into one life.”[24]

Harriet Vane ist am Anfang von Gaudy Night in einem Zustand der Unentschlossenheit. Sie fühlt sich zwischen Intellekt und Emotion zerrissen, ein Konflikt, der ihre Rolle charakterisiert.[25] Sie sucht nach einem ruhenden Pol und ist unentschlossen, ob sie diesen auf emotionaler Ebene, bei Wimsey suchen soll, oder aber auf rationaler Ebene, in ihrer Arbeit. Harriet findet ihre Selbstbestätigung in ihrer Arbeit. Hier ist sie sich immer treu geblieben, hat sich von äußeren Umständen nicht ablenken lassen.

“Was there anything at all that had stood firm in the midst of her indecisions?

Well, yes; she had stuck to her work – and that in the face of what might have seemed over-whelming reasons for abandoning it and doing something different.”[26]

Harriet trifft während der Gaudy, einer Wiedersehensfeier, eine Frau, die zu ihrer Collegezeit eine brillante Studentin gewesen war, dann aber einen Farmer geheiratet hat.[27] Diese Frau, Catherine Bendick, geborene Freemantle, ist verbraucht und wirkt auf Harriet verschwendet. Zwischen den beiden entbrennt eine Diskussion über den Wert der Arbeit. Catherine Bendick empfindet den Unterschied zwischen sich selbst, die einer produktiven Arbeit, der Versorgung der Farm und Erziehung ihrer Kinder, nachgeht und den ehemaligen Kommilitoninnen, die auf die eine oder andere Art ihrer akademischen Laufbahn entsprechen, als unangenehm. Sie hält die Arbeit der anderen ehemaligen Studentinnen für Schaumschlägerei. Harriet drückt ihre Bewunderung gegenüber Catherine Bendick bezüglich ihrer Arbeitsleistung aus, hält die Grundeinstellung jedoch für falsch.

“‘Look here! I admire you like hell, but I believe you´re all wrong. I´m sure one should do one´s own job, however trivial, and not persuade one´s self into doing somebody else´s, however noble.’”[28]

Aus diesem Gespräch resultieren Harriets spätere Überlegungen, ob eine Symbiose zwischen Emotionen und Intellekt möglich ist und ob bei einer Beziehung zwischen Mann und Frau nicht immer eines von beiden nachgeben muß. Catherine Bendick dient als Beispiel für die zahlreichen Frauen, die auch noch in der Zeit nach dem Weltkrieg in das alte Verhaltensmuster verfallen sind, in den “Job” ihres Partners einzuheiraten oder ihre Karriere ganz der Familie zu opfern.[29]

Wenn Wimsey Harriet in Strong Poison seinen Heiratsantrag macht, begrüßt er ihre Bildung und schätzt ihre Arbeit. Wimsey wünscht sich eine intelligente Frau mit eigener Meinung, mit der er auch reden kann. Er braucht keine häusliche Frau, die kochen und nähen kann und sich um die Kinder kümmert. Wimsey sehnt sich nach einer Partnerin, die ihm ebenbürtig ist. Er freut sich auf gemeinsame Unterhaltungen, den Austausch über Literatur, Kunst und Politik. Er hofft, so der Langeweile zu entgehen. Wimsey nimmt an, daß auch er für Harriet ein gleichwertiger Partner sein kann, denn er will ihre Arbeit durch seine Erfahrungen fördern. Dadurch unterscheidet sich Wimsey von Boyes. Dieser hatte Ergebenheit von Harriet gefordert, die sie ihm, solange er zu seinen Prinzipien stand, auch geben konnte.

Auch in Gaudy Night zeigt sich Wimseys für damalige Zeiten tolerante und fortschrittliche Einstellung zur Gleichberechtigung der Frau. Danach gefragt, wie er über die höhere Bildung von Frauen an den Universitäten denkt, antwortet er:

“‘You should not imply that I have any right either to approve or disapprove.’”[30]

Lord Peter Wimsey wird so zum männlichen Mitstreiter für die Emanzipation der Frau.[31]

4.2.2    Intellektuelle Integrität als Basis für Gleichberechtigung

Die Dons am Shrewsbury College zeichnen sich durch ihre Integrität aus. Es handelt sich um verständnisvolle Frauen, die den Problemen ihrer Mitmenschen gegenüber aufgeschlossen sind, aber ihr oberstes Ziel ist die Wahrheit. So sind sie bereit, für die Familie ihres unehrenhaften Pförtners zu sorgen, prangern aber Fehler und Nachlässigkeit in den Arbeiten ihrer Kollegen unbarmherzig an. Personifiziert wird dieses durch Miss de Vine, ehemals Dekanin eines Colleges.

“As the Head of a woman´s college she must, thought Harriet, have had a distasteful task; for she looked as though the word ‘compromise’ had been omitted from her vocabulary; and all statesmanship is compromise. She would not be likely to tolerate any waverings of purpose or wooliness of judgement. If anything came between her and the service of truth, she would walk over it without rancour and without pity – even if it were her own reputation.”[32]

Das höchste zu erstrebende Gut ist intellektuelle Integrität. Diese Wertvorstellung wird auch für die Beziehung zwischen Harriet und Peter gegen Ende von Gaudy Night von Bedeutung sein.

Durch die Darstellung der verschiedenartigen Frauen am Shrewsbury College, die alle verschiedene Ansichten über ihre Rolle in der Gesellschaft haben, betont Dorothy L. Sayers ihren Standpunkt, daß “Frau sein” für jede Frau eine individuelle Bedeutung hat. Diese Erfahrung muß auch Harriet erst noch machen. Sie muß ihre eigenen Qualitäten erkennen und ihre eigenen Sehnsüchte leben.[33]

In Gaudy Night werden die Punkte zusammengefaßt, die für Dorothy L. Sayers im Zusammenhang mit Frauen am meisten Bedeutung zu haben scheinen:

  1. die höhere Bildung von Frauen und was sie damit machen, wenn sie die Universität verlassen,
  2. die Einstellung von Männern und Frauen gegenüber Frauen in gehobenen und leitenden Stellungen und
  3. Harriets Problem, wie eine Frau ihre Karriere mit der Ehe in Einklang bringen kann.[34]

In Harriets persönlichem Schicksal kann die Lösung für diese Probleme gefunden werden. Kenney schreibt hierzu:

“Harriet Vane´s search for a relationship based upon equality, honesty, and mutual respect is the compelling story of achieving a precarious, hard-won balance between opposing forces that goes beyond the simple solution of a detective story. And it is the story that Dorothy L. Sayers was born to write.”[35]

3. Die Romanze im Detektivroman: Harriet Vane

5. Die Metamorphose des Lord Peter Wimsey.


[1]       Vgl. Heta Pyrhönen: Murder from an Academic Angle: An Introduction to the Study of the Detective Narrative, S. 110, Columbia: Camden House, 1994

[2]       Vgl. Dorothy L. Sayers: “Are Women Human?” S.108 in: Unpopular Opinions, S. 106-116 London: Gollancz, 1946

[3]       Vgl. Terrance L. Lewis: Dorothy L. Sayers´ Wimsey and Interwar British Society, S. 57

         Lewiston, Queenston,Lampeter: Edwin Mellen Press, 1994

[4]       Somerville College, das College an dem Dorothy L. Sayers studierte, wurde 1879 gegründet.

[5]       Allerdings bekam auch sie diesen Titel erst 1920 verliehen, fünf Jahre nachdem sie ihr Studium in Oxford beendet hatte.(Vgl. Brunsdale, S. 212)

[6]       Vgl. Gaudy Night, S. 71: Die Berichterstattung in der Presse nach einem Zwischenfall in Shrewsbury College. Vgl. auch Lewis, S. 73

[7]       Dorothy L. Sayers: The Unpleasantness at the Bellona Club, Erstveröffentlichung: London: Benn, 1928

[8]       Dorothy L. Sayers: Clouds of Witness, Erstveröffentlichung: London: Fisher Unwin, 1926

[9]       Vgl. Strong Poison, S. 173

[10]      Unnatural Death, S. 34

[11]      Catherine Kenney: The Remarkable Case Of Dorothy L.Sayers, S. 132f., Kent,Ohio: Kent State University Press, 1990. Kenney bezieht sich auf Nina Auerbach: Communities of Women An Idea in Fiction, Cambridge Harvard University Press, 1978

[12]      Strong Poison, Kapitel 17 und 18

[13]      Kenney, S. 159

[14]      Brabazon, S. 128

[15]      Vgl. Dawson Gaillard: Dorothy L. Sayers, S. 52, New York: Ungar Publishing, 1981

[16]      Vgl. Carolyn G. Hart: “Gaudy Night, Quintessential Sayers”, S. 48, in: Dorothy L. Sayers, The Centenary Celebration, S. 45-50, Herausgeberin: Alzina Stone Dale, New York: Walker, 1993; vgl. auch: Pyrhönen, S. 108

[17]      Gaudy Night, S. 250

[18]      Das College wird von Frauen für Frauen betrieben. Außer dem Pförtner haben nachts keine Männer Zutritt.

[19]      Merry, S. 27

[20]      Vgl. Gaudy Night, S. 54

[21]      Ibid, S. 219

[22]      “Are Women Human?”, S.114

[23]      Ibid, S. 110

[24]      Kenney, S. 156

[25]      Vgl. Klein, S 28

[26]      Gaudy Night, S. 39

[27]      Vgl. ibid, S.46 ff.

[28]      Ibid, S. 48

[29]      Vgl. Lewis, S. 73

[30]      Gaudy Night, S. 314

[31]      Vgl. Hart, S. 48

[32]      Gaudy Night, S. 22

[33]      Vgl. Kenney, S. 164

[34]      Vgl. Pannek, S. 107

[35]      Kenney, S. 157